Ein bisschen erschöpft und noch
verwundert komme ich aus dem Optiker-Laden. Dieser liegt praktischerweise im
Erdgeschoss der Augenarzt-Praxis. Ich habe gerade eine Brille verschrieben
bekommen, naja, das ist soweit nicht ungewöhnlich. Ich nehme mir erstmal die
„Munama“ ab und atme tief durch. Jetzt nur noch das Fahrrad abschließen und
nach Hause radeln. Da spricht mich eine Frau an. Sie fragt mich, ob ich ein
Stück Pizza gegen ein Gedicht tauschen möchte. Ich bin so ehrlich zuzugeben,
dass ich erst ein bisschen genervt war. Immerhin habe ich eine
Solidaritätsmaske der Stadt Recklinghausen, da war ja schon eine Spende beim
Kauf eingerechnet. Echt jetzt, bin ich das? So kalt? Immer in der Furcht,
abgezockt zu werden, angeschnorrt, vielleicht noch dabei beklaut. Und es ist
mir unangenehm, einfach angesprochen zu werden. Aber stimmt das alles
überhaupt? Wie lange hat mich in der Stadt schon niemand mehr angesprochen?
Auch die polizeilichen Alarmglocken bleiben absolut ruhig. Keine Gefahr. Nur
eine Frau, die eine Pizza gegen ein Gedicht tauschen möchte. Und weil die Frau
absolut unaufdringlich und freundlich ist und ich dazu Gedichte sehr mag,
bestelle ich „eine kleine Pizza Thunfisch ohne Oregano“. Dafür suche ich mir
ein Glücksgedicht aus. Es hätte auch etwas mit Frühling gegeben, aber Glück
finde ich als Thema schon passend. Während wir auf die Pizza warten, erzählt
mir Ingrid (unsere Namen haben wir uns erst beim Verabschieden verraten), dass
sie eigentlich davon lebt, für andere Gedichte zu schreiben. Von dem, was sie
dafür erhält, kann sie normalerweise einigermaßen leben. Das ist dann aber kein
Einkaufszettel, sondern die Rechnung lautet: „Ich habe noch Milch, aber ich
brauche eine Tüte Cornflakes“.
Aber jetzt – in Corona-Zeiten – sind die Fußgängerzonen leer oder es sind dort Menschen unterwegs, die sich gerade eher nicht für Gedichte interessieren oder einfach anderes im Kopf haben. So wie ich ja zunächst auch. Heute war sie erst in Essen, dort wäre die Fußgängerzone „wie tot“ gewesen. Ingrid erzählt, dass sie als eine Art Friedenspilgerin unterwegs war. 40.000 Km hat sie in Deutschland zu Fuß zurückgelegt. Ihr Motto war dabei ihr Konfirmationsspruch – die Abraham-Zusage: „Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein.“ So lebt sie. Sie wollte sehen, ob das funktioniert. Meistens schon, sagt sie. Ich ahne aber, dass es oft nicht klappt mit dem Segen. Und dass sie nicht immer satt werden wird. Und ich denke später an meine eigenen Momente, wo der Segen vom Sonntag am Dienstagnachmittag schon wieder aufgebraucht zu sein scheint. Was ist mein Selbstmitleid gegen das, was Menschen auf der Straße durchmachen? In den leeren Städten? Bevor ich diese Zeilen schreibe, habe ich ganz ohne Absicht das Lied „Streets of London“ im Kopf. Aber Ingrid würde sich da wohl selbst nicht sehen. Unser letztes Gespräch, in dem sie mir sagt, dass sie Ingrid heißt, dreht sich darum, dass sie immer fand, es war nicht richtig, Rick (also Humphrey Bogart) am Flughafen in Casablanca stehen zu lassen. Es hätte drei Flugscheine geben müssen. Sie kann ja den Regisseur verstehen, aber gerecht war das doch nicht! Und da sind wir uns absolut einig.
Aber jetzt – in Corona-Zeiten – sind die Fußgängerzonen leer oder es sind dort Menschen unterwegs, die sich gerade eher nicht für Gedichte interessieren oder einfach anderes im Kopf haben. So wie ich ja zunächst auch. Heute war sie erst in Essen, dort wäre die Fußgängerzone „wie tot“ gewesen. Ingrid erzählt, dass sie als eine Art Friedenspilgerin unterwegs war. 40.000 Km hat sie in Deutschland zu Fuß zurückgelegt. Ihr Motto war dabei ihr Konfirmationsspruch – die Abraham-Zusage: „Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein.“ So lebt sie. Sie wollte sehen, ob das funktioniert. Meistens schon, sagt sie. Ich ahne aber, dass es oft nicht klappt mit dem Segen. Und dass sie nicht immer satt werden wird. Und ich denke später an meine eigenen Momente, wo der Segen vom Sonntag am Dienstagnachmittag schon wieder aufgebraucht zu sein scheint. Was ist mein Selbstmitleid gegen das, was Menschen auf der Straße durchmachen? In den leeren Städten? Bevor ich diese Zeilen schreibe, habe ich ganz ohne Absicht das Lied „Streets of London“ im Kopf. Aber Ingrid würde sich da wohl selbst nicht sehen. Unser letztes Gespräch, in dem sie mir sagt, dass sie Ingrid heißt, dreht sich darum, dass sie immer fand, es war nicht richtig, Rick (also Humphrey Bogart) am Flughafen in Casablanca stehen zu lassen. Es hätte drei Flugscheine geben müssen. Sie kann ja den Regisseur verstehen, aber gerecht war das doch nicht! Und da sind wir uns absolut einig.
Damit hatte ich heute nicht
gerechnet. Ein Gedicht und ein Fachgespräch über einen Meilenstein der
Filmgeschichte – das war eine gute Begegnung.
Ingrids Glücksgedicht ist auf zwei Blättern handgeschrieben
und ich gehe davon aus, dass es bislang nirgends veröffentlicht wurde. Deshalb
möchte ich hier nur einen kurzen Auszug wiedergeben:
„…Freundschaft genießen
und gestalten zu jeder Zeit
macht des Herzens Stauraum weit.
Weil Liebe alleine zählt
Für den Menschen
Der ein glücklich Leben wählt …“
13. Mai 2020
Juliane Schild ist hauptberuflich Polizistin und sie ist Lektorin in unserer Friedenskirche in Disteln
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