Sind wir bald da?
Kennen Sie diese Frage? Ganz bestimmt. Von langen Urlaubsfahrten oder
vielleicht auch kurzen Ausflügen, gern gequengelt von den „billigen Plätzen“ im
Auto. Ich gebe zu, mit dieser Frage haben uns unsere Töchter bislang meistens
verschont. Lange Autofahrten? Kein Problem: Sich auf der Rückbank im Auto
gemütlich einrichten, Kopfhörer in die Ohren und stundenlang ungestört von
elterlichen Fragen oder Belehrungen Musik und Hörspielen lauschen - so läuft
das bei uns normalerweise wenn wir unterwegs sind. Wir sind da verwöhnt mit
unseren geduldigen Kindern, das ist mir klar.
Doch jetzt, im Corona-Alltag verhält sich die Sache langsam anders.
Aus Sind wir bald da? Ist Wie lange noch? geworden. Jeden Tag
fragt mich meine 10jährige das. Wie lange noch? Wann darf ich endlich wieder in
die Schule? Wann darf ich endlich wieder mit meinen Freunden spielen?
Habe ich bis vor einer Weile noch die Tapferkeit und Geduld meiner
Kinder bewundert, was ich immer noch tue, spüre ich inzwischen, dass es für sie
jeden Tag schwerer wird. Mit jedem Tag wird die Einsamkeit größer und Traurigkeit
schleicht sich ein. Gab es noch in den Osterferien die Aussicht darauf, danach
wieder loslegen zu können, wurde diese auf den Mai verschoben. Zum ersten
Mal kullerten Tränen der Verzweiflung und Wut machte sich Bahn: „Die Politiker
haben doch keine Ahnung, wie das ist, wenn man wochenlang seine Freunde nicht
sieht“. Dann kam ein neues Paket mit Aufgaben für zuhause. Wie soll sich ein
Kind motivieren, das alles abzuarbeiten, wenn die Aussicht, wieder richtig in
der Schule lernen zu dürfen, immer wieder nach hinten verschoben wird?
Da stellten wir in Aussicht, dass es am Montag wohl für die
Viertklässler losgeht. Da wurde der Ranzen schon gepackt - inklusive Maske aus
dem Kuckucksnest natürlich. Abends: Tagesthemen, Verschiebung auf Donnerstag.
Vielen Dank! Es werden wieder E-Mails kommen. Und wir, die Eltern, werden
wieder das Vergnügen haben, den Inhalt bestmöglich zu verkaufen. Es wird wieder
Tränen geben, zumal die Art und Weise, wie der Schulbesuch ablaufen soll, aus
der Sicht einer 10jährigen alles andere als vergnüglich gestaltet sein dürfte.
Und uns geht es trotzdem noch gut. Meine Kinder haben keinen besonderen
Förderbedarf wegen einer Erkrankung oder Behinderung. Wir fühlen uns auch nicht
mit der Erziehung überfordert. Wie mag das wohl in Familien aussehen, wo das
Zuhause eben kein sicherer Hafen sondern eher gefährliches Gelände ist; für
Kinder, die sich jeden Tag in die Schule oder Jugendeinrichtung retten, weil
sie dort Verpflegung und Zuwendung erhalten? Frisch eingewöhnte
Kindergartenkinder - die kommen nicht zurück und kennen sich gleich wieder aus.
Während ich als Erwachsene noch gut für mich sorgen kann und gelernt
habe, Krisen auszuhalten, ist das für Kinder, vor allem je länger diese
Situation andauert, sehr schwierig. Was mich am Meisten stört ist, dass alles,
was die Kinder betrifft, über uns Eltern als E-Mail abgeladen wird und wir die
Boten der zumeist schlechten Nachrichten sein müssen. Es scheint niemand auf
die Idee zu kommen, sich einmal direkt an die Kinder zu wenden. Und dass Kinder
auf ihre Rolle als potentielle Virenschleudern reduziert werden, verletzt
schlicht und einfach ihre Würde.
Gestern, am 01. Mai (jetzt kommt einmal Corona-Konjuktiv!) wären wir auf den
Grünen Hügel zur Eröffnung der Ruhrfestspiele gegangen. Wir hätten dort viele
andere Familien getroffen und uns vor allem an den Darbietungen von Artisten und
anderen Künstlern erfreut. Dort gibt es auch immer eine Bühne, wo eine
Moderatorin des KIKA mit Kindern tanzt, kleine Tricks einübt oder einfach mit
ihnen feiert. „Kinder stark machen“ heißt das - und genau das brauchten wir eigentlich - jetzt.
Derzeit sind die, die uns zum Lachen, Nachdenken oder auch mal zum
Weinen bringen, damit meine ich auch die Theaterleute und anderen Künstler,
aber vor allem unsere Kinder, quasi weggesperrt. Soviel Internet kann es gar
nicht geben. Auf den Straßen: Gespenstische Ruhe. An einem Kindergarten vorbei
laufen: Besser nicht. Theater: Spinnweben in den Rängen?
Ich hoffe und wünsche weiter, dass unsere Kinder nicht vergessen
werden. Wir können von ihnen nicht verlangen, dass sie „Alles-wird-gut-Regenbögen“
malen und basteln, ohne es ihnen selbst zusagen zu können. Wir müssen ehrlich
sein und die Frage „Sind wir bald da?“ können wir nur mit einem ehrlichen „Ich
weiß es nicht, aber ich wünsche es mir genauso sehr wie du“ beantworten.
(Dieser heutige Blog-Beitrag ist von Juliane Schild.
Sie ist eine der Lektorinnen in der Friedenskirche bei uns in Disteln.)
(Dieser heutige Blog-Beitrag ist von Juliane Schild.
Sie ist eine der Lektorinnen in der Friedenskirche bei uns in Disteln.)
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