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Samstag, 2. Mai 2020

Sind wir bald da? - der dritte Blogbeitrag von Juliane Schild


Sind wir bald da?
Kennen Sie diese Frage? Ganz bestimmt. Von langen Urlaubsfahrten oder vielleicht auch kurzen Ausflügen, gern gequengelt von den „billigen Plätzen“ im Auto. Ich gebe zu, mit dieser Frage haben uns unsere Töchter bislang meistens verschont. Lange Autofahrten? Kein Problem: Sich auf der Rückbank im Auto gemütlich einrichten, Kopfhörer in die Ohren und stundenlang ungestört von elterlichen Fragen oder Belehrungen Musik und Hörspielen lauschen - so läuft das bei uns normalerweise wenn wir unterwegs sind. Wir sind da verwöhnt mit unseren geduldigen Kindern, das ist mir klar.
Doch jetzt, im Corona-Alltag verhält sich die Sache langsam anders. Aus Sind wir bald da? Ist Wie lange noch? geworden. Jeden Tag fragt mich meine 10jährige das. Wie lange noch? Wann darf ich endlich wieder in die Schule? Wann darf ich endlich wieder mit meinen Freunden spielen?
Habe ich bis vor einer Weile noch die Tapferkeit und Geduld meiner Kinder bewundert, was ich immer noch tue, spüre ich inzwischen, dass es für sie jeden Tag schwerer wird. Mit jedem Tag wird die Einsamkeit größer und Traurigkeit schleicht sich ein. Gab es noch in den Osterferien die Aussicht darauf, danach wieder loslegen zu können, wurde diese auf den Mai verschoben. Zum ersten Mal kullerten Tränen der Verzweiflung und Wut machte sich Bahn: „Die Politiker haben doch keine Ahnung, wie das ist, wenn man wochenlang seine Freunde nicht sieht“. Dann kam ein neues Paket mit Aufgaben für zuhause. Wie soll sich ein Kind motivieren, das alles abzuarbeiten, wenn die Aussicht, wieder richtig in der Schule lernen zu dürfen, immer wieder nach hinten verschoben wird?
Da stellten wir in Aussicht, dass es am Montag wohl für die Viertklässler losgeht. Da wurde der Ranzen schon gepackt - inklusive Maske aus dem Kuckucksnest natürlich. Abends: Tagesthemen, Verschiebung auf Donnerstag. Vielen Dank! Es werden wieder E-Mails kommen. Und wir, die Eltern, werden wieder das Vergnügen haben, den Inhalt bestmöglich zu verkaufen. Es wird wieder Tränen geben, zumal die Art und Weise, wie der Schulbesuch ablaufen soll, aus der Sicht einer 10jährigen alles andere als vergnüglich gestaltet sein dürfte. Und uns geht es trotzdem noch gut. Meine Kinder haben keinen besonderen Förderbedarf wegen einer Erkrankung oder Behinderung. Wir fühlen uns auch nicht mit der Erziehung überfordert. Wie mag das wohl in Familien aussehen, wo das Zuhause eben kein sicherer Hafen sondern eher gefährliches Gelände ist; für Kinder, die sich jeden Tag in die Schule oder Jugendeinrichtung retten, weil sie dort Verpflegung und Zuwendung erhalten? Frisch eingewöhnte Kindergartenkinder - die kommen nicht zurück und kennen sich gleich wieder aus.
Während ich als Erwachsene noch gut für mich sorgen kann und gelernt habe, Krisen auszuhalten, ist das für Kinder, vor allem je länger diese Situation andauert, sehr schwierig. Was mich am Meisten stört ist, dass alles, was die Kinder betrifft, über uns Eltern als E-Mail abgeladen wird und wir die Boten der zumeist schlechten Nachrichten sein müssen. Es scheint niemand auf die Idee zu kommen, sich einmal direkt an die Kinder zu wenden. Und dass Kinder auf ihre Rolle als potentielle Virenschleudern reduziert werden, verletzt schlicht und einfach ihre Würde. 


Gestern, am 01. Mai (jetzt kommt einmal Corona-Konjuktiv!) wären wir auf den Grünen Hügel zur Eröffnung der Ruhrfestspiele gegangen. Wir hätten dort viele andere Familien getroffen und uns vor allem an den Darbietungen von Artisten und anderen Künstlern erfreut. Dort gibt es auch immer eine Bühne, wo eine Moderatorin des KIKA mit Kindern tanzt, kleine Tricks einübt oder einfach mit ihnen feiert. „Kinder stark machen“ heißt das - und genau das brauchten wir eigentlich - jetzt.
Derzeit sind die, die uns zum Lachen, Nachdenken oder auch mal zum Weinen bringen, damit meine ich auch die Theaterleute und anderen Künstler, aber vor allem unsere Kinder, quasi weggesperrt. Soviel Internet kann es gar nicht geben. Auf den Straßen: Gespenstische Ruhe. An einem Kindergarten vorbei laufen: Besser nicht. Theater: Spinnweben in den Rängen?
Ich hoffe und wünsche weiter, dass unsere Kinder nicht vergessen werden. Wir können von ihnen nicht verlangen, dass sie „Alles-wird-gut-Regenbögen“ malen und basteln, ohne es ihnen selbst zusagen zu können. Wir müssen ehrlich sein und die Frage „Sind wir bald da?“ können wir nur mit einem ehrlichen „Ich weiß es nicht, aber ich wünsche es mir genauso sehr wie du“ beantworten.

(Dieser heutige Blog-Beitrag ist von Juliane Schild.
Sie ist eine der Lektorinnen in der Friedenskirche bei uns in Disteln.)

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